VON JOURNALISTISCHEM HANDWERK UND MENSCHLICHEN MÄNGELN
Schayan Riaz ließ sich zum Kulturjournalisten ausbilden – und erlebte eine Szene, die die Perspektive einer weißen Bürgerlichkeit zum Nonplusultra erhebt.
Die Oscars 2016, moderiert von Chris Rock. Bei der Preisverleihung geht es einmal mehr um die #OscarsSoWhite-Debatte: Kein*e einzige*r BIPoC-Schauspieler*in unter den Nominierten in den Hauptkategorien. In seiner Eröffnungsrede stellt sich Rock die Frage, ob Hollywood per se rassistisch sei. Selbstverständlich, sagt er, aber auf eine eigene, subtile Art und Weise. Folgende Anekdote, die er erzählt, gewährt Einblicke ins System: Bei einem Fundraiser für Barack Obama kann Rock die Schwarzen Gäst*innen an einer Hand abzählen, alle anderen im Raum sind weiß. Als er an der Reihe ist, ein Foto mit dem ehemaligen Präsidenten zu schießen, platzt es dann aus ihm heraus: »Schauen Sie sich bitte diese wichtigen Produzenten, Autoren und Schauspieler an, die stellen einfach keine Schwarzen ein. Obwohl das die nettesten weißen Menschen auf der ganzen Welt sind! Cheese!«
EIN PAAR TEXTE MACHEN NOCH KEINE DIVERSE MEDIENLANDSCHAFT
Ohne mir die Erfahrungen einer Schwarzen Person, ob in den Staaten oder hierzulande, aneignen zu wollen: Oft fühle ich mich als freiberuflicher Journalist in Deutschland ähnlich. Die meisten Menschen im deutschen Journalismus sind nun mal weiß. Und die meisten dieser Menschen sind super nett. Das klingt wie ein blöder Satz, das ist er vermutlich auch, aber er unterstreicht diesen Fakt: Weiße Redakteur*innen sind, wie soll man es anders sagen, sehr interessiert an uns – also nicht-weißen Menschen – an unserer Herkunft, unseren Ideen, unseren Geschichten. Doch schaut man in die wichtigsten Redaktionen dieses Landes, dann sind wir nach wie vor Mangelware. Und natürlich gibt es da auch mal Ausnahmen, das bestreitet niemand, herzlichen Glückwunsch. Doch wie kann die gesamte Gesellschaft medial repräsentiert werden, wie spricht man mit Menschen statt über sie? Ein paar Texte über »unsere« Erfahrungen bringen noch keine, haltet euch fest, jetzt kommt das D-Wort, »diverse« Medienlandschaft herbei.
DAZU AUSGEBILDET, EIN BESTIMMTES SCHEMA ZU VERFOLGEN
Nach einem Bachelor in Filmwissenschaften habe ich Kulturjournalismus im Master studiert und wurde für das Feuilleton ausgebildet. Heute schreibe ich hauptsächlich über Film und Literatur. Die Vermittlung von Kultur liegt mir besonders am Herzen, wenn mir etwas gefällt, dann möchte ich, dass jede einzelne Person, die meinen Text gelesen hat (das sind in der Regel eh nicht viele), ins Kino geht oder noch besser in die lokale Buchhandlung. Und ist das Gegenteil der Fall, dann möchte ich, dass jede Person ihre Zeit und ihr hart erarbeitetes Geld spart. Doch heute kann ich sagen: Das, was ich im Studium gelernt habe, war im Großen und Ganzen nicht hilfreich. Ich wurde nicht als Journalist ausgebildet, zumindest nahm ich das nicht so wahr, sondern als Mensch, der ein bestimmtes Schema befolgen soll. Die eigene Persönlichkeit oder Kreativität sollte dabei im Hintergrund verschwinden, vor allem wenn der Text nicht »regelkonform« war.
DER EIGENE BACKGROUND SOLL KEINE ROLLE SPIELEN
Und die Regel stellte immer die Fakultät auf. In den drei Jahren meines Studiums hatte ich eine sehr homogene Gruppe von Dozent*innen. Folglich war auch mein ganzer Output als einer der wenigen nicht-weißen Studenten im Jahrgang einem gewissen Blick unterlegen. Wir waren wie eine »echte Redaktion« und mussten viel liefern, Texte über Opernaufführungen, über Jazz-Abende, Rezensionen von Klassik-Alben. Doch der eigene Background sollte im besten Falle keine Rolle spielen. Wenn ich also in die Oper gegangen bin, ein Ort an dem Menschen wie ich, die in Berlin-Wedding geboren und aufgewachsen sind, Kinder von Migrant*innen sind und die Oper – bei allem Respekt – nicht unbedingt als erste Freizeitbeschäftigung in Erwägung ziehen, dann musste es vorrangig um das »journalistische Handwerk« gehen und weniger darum, wer diesen Text schreibt. Ich weiß nicht, wie es heute ist, ich hätte mir in jedem Fall mehr Offenheit im Studium gewünscht. Überhaupt ist das doch ein Paradox: Kritiken sind subjektive Wahrnehmungen, wenn man dort nicht erwähnen soll, dass man sich in bestimmten Spaces »anders« fühlt, wo dann sonst. Dafür hatten nicht viele Verständnis.
»FREMDES KULTURGUT«
Dabei kann man diesen Background nicht ausklammern. Andersrum erlebe ich es doch auch permanent: Wenn ich Texte über Filme oder Bücher schreibe, die nicht-deutsch, beziehungsweise aus einer nicht-weißen Perspektive heraus erzählt sind, dann müssen bestimmte Sachen erklärt werden. Redakteur*innen werden oft über Sachen stolpern, weil sie an ihre »gut-bürgerliche, weiße« Leserschaft denken und ihr »fremdes Kulturgut« nicht einfach so zumuten möchten. Bollywood-Filme können nicht einfach als Filme besprochen werden, sie müssen in einen bestimmten Rahmen eingebettet werden. Und wenn ich über das Buch eines pakistanischen Autors schreibe, dann kann es durchaus vorkommen, dass meine Redakteurin mich dazu ermutigt, diesen Aspekt mit einfließen zu lassen. »Vielleicht kennen Sie den Autor persönlich?« Das ist für den Leser verdaulicher, wenn ein nicht-weißer Journalist über den nicht-weißen Autor schreibt. Ich wünschte, dass das übertrieben wäre. Es entspricht aber echten Erfahrungen. Wir kennen uns alle nicht untereinander. Wirklich nicht.
WEIßE KOLLEG*INNEN, DIE EINEN MANGEL IN BIPOC-JOURNALIST*INNEN SEHEN
Auch Gruppenarbeiten waren so eine Sache. Für eine Zeitungsbeilage der »taz« schrieb ich das Editorial. Für einen Fernsehbeitrag führte ich alle Interviews. Eine Radiosendung moderierte ich mit einer Kommilitonin zusammen. In allen Fällen bekam ich die schlechtere Note. Vielleicht lag es auch an mir, ich bin ja nicht Marcel Reich-Ranicki. Ich frage mich nur, nach welchen Kriterien bewertet wurde. Ich habe nie nachgefragt und es einfach so hingenommen, weil es mir irgendwann egal wurde, wie viele Punkte ich erreicht habe, welche Prozentzahl aussagt, ob ich sehr gut, gut oder nur befriedigend bin. Heute, wo ich die deutsche Medienlandschaft besser kennengelernt habe und weiß, dass jene Menschen, die mir vorgesetzt waren, auch als Redakteure für verschiedene Zeitungen arbeiten, fürs Fernsehen, fürs Radio, und dort überwiegend mit weißen Kolleg*innen, da wird mir bewusst, dass es durchaus sein kann, dass sie einen Mangel in mir sahen. Keinen journalistischen, sondern einen, nun ja, menschlichen? Ist das zu krass?
MEDIEN, DIE VON GRUND AUF INKLUSIV UND REPRÄSENTATIV SIND
Seit jeher geht mir eine Konversation mit einer lieben Kollegin nicht mehr aus dem Kopf. Ein Gespräch über Chancengleichheit im Journalismus, wie BIPoC sich permanent ein kleines bisschen mehr beweisen müssen, dass sie, wenn sie denn die Möglichkeit bekommen, Texte zu schreiben, sehr oft bevormundet werden; das übliche Gespräch unter BIPoC-Journalist*innen halt. Ich brachte diesen Klischeesatz: »Wir brauchen endlich einen Platz am Tisch«. Sie lachte nur und erwiderte: »Wir müssen unseren eigenen Tisch bauen«. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mit dieser Aussage hundertprozentig mitgehe, also dass wir uns vom Status Quo abwenden und unsere eigene Sache machen sollen. Wenn es nach mir ginge, sollte sich das System uns anpassen. Es sollte Medien geben, die von Grund aus inklusiv und repräsentativ sind, nicht nur eine Handvoll gute BIPoC-Journalist*innen fördern, sondern alle gesellschaftlichen Bedarfe abdecken und auch mal den Mut haben zu sagen, dass das die Leser*innen auch interessiert. Vor allem brauchen entsprechende Studiengänge mehr Dozent*innen of Color. Damit ein Film wie »Fack Ju Göhte« nicht mehr als Paradebeispiel für eine gelungene Auseinandersetzung mit Integration gilt, damit die deutsche »Kopftuchdebatte« nicht als Rollenspiel zwischen Pro- und Contra-Nachwuchsjournalist*innen, diese auch mehrheitlich weiß, inszeniert wird und damit kein*e Student*in mehr den Satz, »Wir sind hier in Deutschland, also kümmern wir uns heute nur um deutsche Kultur« hören muss. Man darf ja wohl noch hoffen. Cheese! #Klasse #Rassismus
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