Nach dem Beginn des russischen Angriffskrieg in der Ukraine am 24. Februar 2022 häufen sich Meldungen von Gewalttaten und -drohungen gegen Menschen, die Russisch sprechen oder als osteuropäisch gelesen werden. Auch medial erfahren antislawische Darstellungen ein Revival. Für BLIQ hat sich unser:e Gastautor:in Sasha Borgardt die deutsche Berichterstattung genauer angeschaut und zeigt auf, dass in den Redaktionen wenig Bewusstsein für postsowjetische Migration in Deutschland vorhanden ist.
Eine Analyse von Sasha Borgardt

Ausschnitt aus dem BR-Fernsehbeitrag »Zerreißprobe Ukraine-Krieg: Russlanddeutsche zwischen allen Stühlen«. (Screenshot: BLIQ)
Am 11. März 2022 brennt die Turnhalle der deutsch-russischen Lomonossow-Schule in Berlin-Marzahn. Kurz darauf berichtet eine im russischen Restaurant Grüne Lampe angestellte Person von Gewaltandrohungen und Beleidigungen, zum Beispiel die Aussage, dass es schade sei, dass Hitler nicht das erreicht habe, was er machen wollte. Wenige Tage später werfen Unbekannte Flaschen gegen die Fenster einer orthodox-russichen Kirche in Berlin-Charlottenburg.
Seit dem 24. Februar 2022, als der Krieg gegen die Ukraine ein noch größeres Ausmaß annahm, häufen sich die Meldungen von Gewalttaten und -drohungen gegen Menschen, die Russisch sprechen oder als osteuropäisch gelesen werden. Laut der Tagesschau gab es bereits über hundert Straftaten innerhalb der ersten zwei Wochen. Der Begriff Antislawismus, also die Diskriminierung, die sich gegen als osteuropäisch oder »slawisch« markierte Menschen richtet, erlangt mediale Aufmerksamkeit und insbesondere Russlanddeutsche rücken in den Fokus medialen Interesses.
ANTISLAWISMUS HISTORISCH UNSICHTBAR
Antislawische Gewalt ist allerdings kein neues Phänomen, sondern historisch in der deutschen Gesellschaft verankert. Das zeigen Angriffe auf postsowjetische Migrant:innen in den Neunzigern, bei denen insbesondere sogenannte (Spät-)Aussiedler:innen und jüdische Kontingentgeflüchtete betroffen waren. Gewalttaten mehrten sich zu dieser Zeit, sind bis heute jedoch kaum aufgearbeitet. Eine politisch motiviertes Tatmotiv wurde von Behörden oft ausgeschlossen. Medien berichteten häufig undifferenziert von den Geschehnissen und die antislawische Diskriminierung dahinter wurde nicht benannt.
Da sich das Verständnis in der deutschen Rassismusdebatte meist auf Rassismus gegen BIPoC bezieht, wurde nie von rassistischer Gewalt gesprochen. So blieben die Erfahrungen von postsowjetischen Migrant:innen meist unsichtbar, da Rassismus meist in Bezug zu äußerlich sichtbaren Merkmalen thematisiert wird. Das hat bis heute Auswirkungen: Selten wird bei Anschlägen auf Aussiedler:innenheime oder Morden an ein antislawisches Tatmotiv gedacht.
RASSISMUSDISKURS FÜR OSTPERSPEKTIVEN ERWEITERN
Ein Grund für die Unsichtbarkeit von Antislawismus ist, dass im deutschen Rassismusdiskurs eine binäre Einteilung in Täter:innen und Opfer erfolgt. Selten wird thematisiert, dass postsowjetische (post-)migrantische Personen (sowie weitere Personen mit Migrationsgeschichte in Ost- und Südosteuropa) auf der einen Seite Migrantisierungs- und/oder Antislawismuserfahrungen machen, auf der anderen Seite oft weiß und damit privilegiert sind. In der Dominanzgesellschaft, gerade in der zweiten oder dritten Generation, fallen sie daher in ihrer migrantischen Identität nicht immer auf.
Insbesondere in Deutschland, wo Antislawismus eine lange Geschichte hat, sollte das mitbedacht werden. Daher plädieren zum Beispiel die Wissenschaftler Jannis Panagiotidis und Hans-Christian Petersen dafür, den deutschen Rassismusdiskurs für Ostperspektiven zu erweitern.
ANTISLAWISCHE STEREOTYPE IN DEN MEDIEN SEIT DEM KRIEG GEGEN DIE UKRAINE
Seit Beginn des Jahres 2022 kommt postsowjetischen Migrant:innen deutlich mehr mediale Aufmerksamkeit zu. Dabei werden sie häufig als homogene Masse dargestellt. Während postsowjetische Migrant:innen in den letzten Jahren für Journalist:innen uninteressant waren und über sie, wenn überhaupt, als unauffällige und »gut integrierte« Paradebeispiele der Migration und Anpassung berichtet wurde, hat sich diese Darstellung plötzlich geändert.
Gerade Russlanddeutsche erlangen von der Dominanzgesellschaft Aufmerksamkeit, die schnell in antislawischen Narrativen wie vermeintlicher AfD-Nähe endet. So erschien im Juli 2022 eine SWR-Dokumentation mit dem Titel »Russlanddeutsche – unsere fremden Nachbarn? Bilanz einer schwierigen Integration«. Abgesehen vom ohnehin schon problematischen Titel, der mit Othering, also der Abgrenzung und dem Anders-Machen von Gruppierungen, und Vorstellungen von Sich-Anpassen-Müssen arbeitet, reproduziert die Doku weitere antislawische Stereotype wie Putintreue und spielt mit stigmatisierenden Formulierungen wie »Klein-Kasachstan« auf die soziale Abschottung von marginalisierten und migrantischen Gruppen an.
Kritik an der Doku kam von Betroffenen, deren Stimmen immer lauter werden. Medien wie die taz kritisierten die Doku. Zuletzt verliehen die Neuen deutschen Medienmacher:innen der Doku den Medienpreis »die goldene Kartoffel« für unterirdische Berichterstattung.
EINSEITIGE BERICHTERSTATTUNG ÜBER ANTISLAWISCHE GEWALTTATEN
Wenn Mainstream-Medien über antislawische Gewalt berichten, dann werden oft Begrifflichkeiten durcheinander gebracht und willkürlich verwendet. So werden Vorfälle mal als antislawisch, antirussisch oder als Russophobie bezeichnet.
Häufig ist von betroffenen Personen als russischstämmig die Rede. Dabei zeigt sich wenig Bewusstsein für postsowjetische Migration in Deutschland. Nicht alle Personen, die Russisch sprechen, sind russischstämmig. Ihnen diese Fremdbezeichnung aufzulegen, ist in vielen Fällen falsch. Russischsprachige Personen, die beispielsweise aus Kasachstan nach Deutschland kommen und als Russlanddeutsche bezeichnet werden, sind nicht russischstämmig. Daher sind die Taten auch nicht antirussisch, da sie sich nicht nur gegen Russ:innen richten, sondern gegen alle, die russisch gelesen werden.
Auch den Begriff Russophobie in deutschen Medien aufzugreifen, ist in vielerlei Hinsicht irreführend. Es handelt sich einerseits nicht um Angst, sondern um Diskriminierung, weshalb es keine Phobie darstellt. Andererseits wird der Begriff Russophobie in russischer Propaganda verwendet und instrumentalisiert. Dies sollte von deutschen Medien nicht bedient werden.
In einem Fernsehbeitrag des Bayerischen Rundfunks wird der Krieg gegen die Ukraine als »Zerreißprobe« für die Russlanddeutschen betitelt. Diese seien in ihrer Haltung »gespalten«, da sie keine einheitliche Meinung zum Krieg haben. Berichtet wird in derselben Doku allerdings überwiegend einseitig von Putintreue und russischer Propaganda. Die übergeordnete Frage lautet, wie »die« Russlanddeutschen zum Krieg stehen, womit ein einheitliches Statement von ein paar Millionen Menschen erwartet wird.
POSTSOWJETISCHE MIGRANT:INNEN ALS TÄTER:INNENGRUPPE
Ein Artikel im Tagesspiegel über den zu Beginn erwähnten Brandanschlag auf die deutsch-russische Privatschule in Marzahn-Hellersdorf thematisiert eigentlich aktuelle Gewalt gegen russisch- und ukrainischsprachige Personen. Doch im letzten Absatz wird durch ein Zitat der damaligen Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) plötzlich die betroffene Gruppe als Täter:innen dargestellt: »Ich rufe alle Menschen ukrainischer und russischer Abstammung in Berlin auf, diese Auseinandersetzung nicht auf unseren Straßen zu führen, sondern friedlich miteinander umzugehen«. Das Zitat ist nicht nur aus dem Zusammenhang gerissen - denn eigentlich ging es in der Aussage Giffeys anlässlich des Nationalen Gedenktags für die Opfer terroristischer Gewalt ganz allgemein um den Krieg gegen die Ukraine - sondern es ruft zudem ausschließlich russischsprachige Menschen dazu auf, friedlich miteinander umzugehen und stellt sie implizit als die Ursache für die Gewalt dar. Zwar waren auch russischsprachige Menschen an Auseinandersetzungen und Gewalttaten beteiligt, aber in dem Artikel ist explizit auch von »einem Deutschen« die Rede. Obwohl die Lomonossow-Schule als Ort beschrieben wird, der die »Integration von aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden und in Berlin lebenden Familien mit Kindern fördern« möchte, fehlt eine postsowjetische Perspektive im gesamten Artikel.
WAS SICH ÄNDERN MUSS: ANTISLAWISMUS ERKENNEN UND BENENNEN
Antislawismen sind weiterhin Bestandteil medialer Berichterstattung. Journalist:innen berichten, wenn sie über Personen mit postsowjetischer Migrationsgeschichte sprechen, meist nur von der AfD, Putin und seit letztem Jahr vom Krieg gegen die Ukraine. Andere Aspekte zu beleuchten, könnte dagegen dazu beitragen, sich von negativen Stereotypen zu lösen und ein differenziertes Bild zu schaffen. Wenn Begriffe in Mainstream-Medien nicht bewusst gewählt werden und vereinfachend von Russ:innen geredet wird, obwohl die Beschreibung nicht zutrifft, prägt das das Bewusstsein der Konsument:innen. Zur medialen Verantwortung gehört, die Komplexität im deutschen Rassismusdiskurs zu beachten, Desinformation und russischer Propaganda entgegenzutreten und tatsächlichen Antislawismus zu benennen.
ZUR PERSON
Sasha Borgardt ist über die Arbeit bei einem freien Radiosender zum Journalismus gekommen. Seither produziert und sendet Borgardt insbesondere zu den Themen Queerfeminismus, Autoritarismus und (postsowjetische) Migration.
Comments