Ob als »unbekanntes« Urlaubsparadies mit Bergen, Rosen, Eseln und Frauen (3Sat) oder als »das vergessene EU-Problem« (ZDF) und »Armenhaus der EU« (BR) – deutsche Fernsehbilder vermitteln ein ganz bestimmtes Bild über Bulgarien: ein Land zwischen Exotik und Armut.
Eine Analyse von Vic Atanasov
Seit Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland im Januar 2020 bis Mitte August 2021 gab es insgesamt 133 Meldungen mit Bulgarien-Bezug auf tagesschau.de. Diese basierten auf Beiträgen verschiedener öffentlich-rechtlicher ARD-Anstalten. Eine Analyse zeigt: Eine differenzierte Berichterstattung über Bulgarien findet kaum statt.
Es fällt auf, dass in diesem Zeitraum vor allem drei Themen dominant waren:
die Parlamentswahlen in Bulgarien im Sommer 2020, geprägt von Korruption und Machtmissbrauch,
der Fall der Großschlachterei Tönnies im Juni 2020, bei dem es zu einer großen Corona-Infektion unter den bulgarischen und rumänischen Leiharbeiter:innen kam sowie
die Diskussion um einen Mindestlohn für Pflegekräfte, nachdem eine bulgarische Pflegekraft wegen ausbeuterischer Arbeitsbedingungen klagte.
BULGARIEN ALS GANZES: ZWISCHEN URLAUBSPARADIES UND SCHLUSSLICHT DER EU
Bulgarien kommt am häufigsten dann in den untersuchten Berichten vor, wenn es als «Schlusslicht« im EU-Vergleich brauchbar ist. Es eignet sich besonders gut als Kontrast, weil Bulgarien mit 48% das geringste Bruttoinlandsprodukt in der EU hat. So taucht es in den Meldungen mit 80% (Anzahl: 106) nur deshalb auf, weil es als (hauptsächlich negatives) Kontrastbild erwähnt wird.
Abwertende Beschreibungen wie »2. Klasse«, »Abstieg«, »Scheitern« oder »Missstand« werden dabei oft genutzt und markieren Bulgarien damit als das »Andere«: Kulturlosigkeit, Rückständigkeit, Armut, Faulheit, unhygienisch – Eigenschaften, die klassistisch besetzt sind und als Erklärung für den schlechten Stand Bulgariens herhalten müssen. Faktisch mag es zwar stimmen, dass Bulgarien im Vergleich zu anderen EU-Ländern ärmer und korrupter ist, ein Blick auf die Verhältnisse und Ursachen hierfür sowie auf das Land selbst fehlen meist.
DEUTSCHE BERICHTERSTATTUNG ÜBER BULGARISCHE MIGRANT:INNEN
Nicht nur Themen, auch Menschen gehen hinter der »Idee Balkan« verloren, erklärt eine von zwei interviewten Frauen, die in Bulgarien geboren und aufgewachsen sind. Sie lebt seit über 20 Jahren in Deutschland, ist Juristin und möchte aus politischen Gründen anonym bleiben. Sie erzählt von der Gesichtslosigkeit bulgarischer Menschen in den etablierten Medien, von der Abwesenheit der Familiengeschichten, Einzelschicksalen und individuellen Bedürfnissen. Negative Schlagzeilen würden sich auf das schlechte Bild von den Menschen übertragen.
Die zweite interviewte Person, die Rechtsanwältin Margarita Mileva, ist auf Einladung des Projekts »Tourenscouts grenzenlos« der NaturFreunde Berlin nach Deutschland gekommen und lebt seit Januar 2020 in Berlin: »Gegenüber Osteuropa insgesamt gibt es kein gutes Verhältnis, besonders gegenüber den Migrant:innen, die aus Bulgarien und Rumänien kommen.« Margarita sieht einen Zusammenhang zwischen der klassistischen Diskriminierung bulgarischer Zugewanderter als Arbeitsmigrant:innen und den medialen Bildern von wirtschaftlicher Armut und politischer Instabilität des Herkunftslandes. »Bulgarien ist das ärmste Land im Rahmen der Europäischen Union. Es gibt große Minderheitsgruppen [die türkische und Rom:nja-Gemeinschaft] innerhalb der rumänischen und bulgarischen Community, die hierher gekommen sind und eigentlich nicht gewünscht sind.«
Ein Blick auf die mediale Darstellung Osteuropas macht antislawischen Rassismus deutlich: Migrantische Personen werden dort sichtbar, wo sie für die deutschen Bürger:innen vermeintlich Gefahrenpotentiale darstellen. Das zeigen mediale Portraits bulgarischer Arbeitszuwander:innen in Deutschland:
»DIE ILLUSION DER 24-STUNDEN-PFLEGE«
Der Fall, bei dem eine in Deutschland arbeitende Pflegekraft aus Bulgarien klagte, weil sie deutlich mehr als im Arbeitsvertrag festgelegt arbeitete, löste eine Debatte über den Pflegekräftemangel aus. Es gab die Befürchtung, Pflegekosten würden zu teuer werden, sollten ausländische Pflegekräfte besser entlohnt werden. In der Sendung »Zeitfragen« vom Deutschlandfunk am 18.05.2020 hieß es: »Viele in Deutschland glauben, eine Betreuung rund um die Uhr sei legal, vielleicht auch, weil sie sich vorstellen, dass das Recht im Heimatland der Frauen solche Arbeitsverträge erlaubt.« Angst vor zu hohen Pflegekosten legitimieren Ausbeutung ausländischer Leiharbeiter:innen. Ihre geringe Entlohnung wird wegen der nationalen Herkunft für »okay« empfunden. Ein klassistisches Stereotyp über Osteuropäer:innen macht also schlechte Lebensverhältnisse zur Normalität.
LEIHARBEITER:INNEN AUS BULGARIEN UND RUMÄNIEN ALS INFEKTIONSGEFAHR
Nicht nur im Pflegesektor, auch der Fall in einem deutschen Schlachtbetrieb des Unternehmens Tönnies zeigte, wie verwurzelt Antislawismus in unserer Gesellschaft ist. Im Sommer 2020 kam es in dem Betrieb zu einem massenhaften Ausbruch des Coronavirus. Vor allem bulgarische und rumänische Leiharbeiter:innen wurden als »Infektionsgefahr« dargestellt. Der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet erklärte, das Virus käme aus Bulgarien und Rumänien. Laschet suchte die Ursache des Infektionsvorfalls nicht in den »eigenen« Reihen, sondern verortete diese bei migrierten Arbeitskräften.
Jüngst in der Debatte um die Verbreitung des Coronavirus kam es erneut zu rassistischen Äußerungen seitens eines Politikers. Der ehemalige Gesundheitsminister Jens Spahn sagte in einem Interview mit der Bild am Sonntag: »Damals haben die Auslandsreisen, häufig Verwandtschaftsbesuche in der Türkei und auf dem Balkan, phasenweise rund 50 Prozent der Neuinfektionen bei uns ausgelöst. Das müssen wir in diesem Jahr verhindern.« (Deutschlandfunk am 23.05.2021) Dass Familienbesuche nach Osteuropa unter anderem Schuld an der Verbreitung des Coronavirus seien, schlussfolgerte Spahn aus einer Sonderauswertung einer Studie des Robert Koch-Instituts. Dort heißt es, die Nationen, die am häufigsten als Infektionsquelle vorkommen, seien »Länder, aus denen Saison- und Vertragsarbeiter nach Deutschland kommen (z.B. Rumänien und Bulgarien), Heimatländer von Einwanderern (z.B. Türkei und Kosovo) und beliebte Urlaubsländer«. Auch in diesem Fall fehlte eine komplexe Auseinandersetzung. Dass das Ansteckungsrisiko für von Klassismus betroffene Personen höher ist, blieb dabei ausgespart. Was bleibt, ist lediglich ein Bild über »gefährliche« Bulgar:innen. Interessant: Eine Ausreise für deutsche Staatsangehörige zum Zwecke des Urlaubs jedoch müsse ohne Einschränkungen gewährleistet bleiben, hieß es kurz vorher von Spahn.
STIGMATISIERENDE DARSTELLUNG BULGARISCHER ZUGEWANDERTER
Wenn bulgarische Zugewanderte in den untersuchten Meldungen vorkamen, dann überwiegend als Arbeitsmigrant:innen, oft verbunden mit negativen Ereignissen. Dabei müsste durch den Personalmangel in Deutschland allgemein klar sein, zugewanderte Arbeiter:innen sind eine große Hilfe für den Wohlstand und verdienen Anerkennung. Arbeitsmigration gehört »zu den Wundern des westlichen Wohlstands«, wie die bulgarische Organisation FemBunt sagt, »und der kommt nicht selten aus dem sogenannten Osteuropa«.
»Wenn man sich die bulgarische Community anschaut, dann gibt es viele Leute, die wirklich nach Deutschland gekommen sind, weil sie unter erbärmlichen Bedingungen in Bulgarien leben mussten«, sagt Margarita. Aufgrund schwieriger Lebens- und Arbeitsbedingungen nimmt Migration aus Bulgarien zu. Ein Leben in Deutschland entspricht aber nicht unbedingt den Hoffnungen auf ein unbeschwertes Leben: »Das Problem ist, dass die meisten von ihnen hier auch ein sehr schweres Leben haben. Es gibt einen großen Teil von bulgarischen Zuwander:innen, die kein Deutsch oder nur sehr wenig Deutsch sprechen, die keine gute Ausbildung haben, und es deshalb sehr schwierig für sie ist, hier Arbeit zu finden.« Der Aspekt, dass sie aus der Europäischen Union kommen, macht es für sie zwar leichter, zu migrieren, zugleich aber auch schwieriger, als Benachteiligte sichtbar zu werden. Das gilt insbesondere dann, wenn sie in Deutschland bleiben möchten. Es fehlen z. B. Integrationsangebote, weil sie aufgrund ihres europäischen Status als Leiharbeiter:innen keinen Anspruch auf Integrationshilfen haben.
Aus Bulgarien kommen aber nicht nur Arbeitsmigrant:innen nach Deutschland. Eine Studie der Diakonie zeigt, dass Migrant:innen aus Bulgarien an erster Stelle nicht wegen der Lohnarbeit, sondern für eine Familienzusammenführung oder -gründung zuwandern. So wird das Bild osteuropäischer Migration und Migrationsursachen verzerrt: »Viele Menschen kommen her, um zu studieren«, sagt Margarita: »Es gibt einen großen Teil von bulgarischen Migrant:innen, die hoch ausgebildet sind, die auch in Bulgarien eine gute Arbeit gehabt haben. Zum Beispiel gibt es viele Ärzt:innen hier in Deutschland, die aus Bulgarien kommen; es gibt viele Menschen, die im IT-Sektor arbeiten.«
WELCHE GESELLSCHAFTLICHEN AUSWIRKUNGEN HAT EINE UNDIFFERENZIERTE BERICHTERSTATTUNG?
Für die beiden Frauen steht fest: Wie Medien über Bulgarien berichten, hat einen erheblichen Anteil an der Produktion abwertender oder exotisierender Bilder. Sie selbst bekommen dies in ihrem Alltag zu spüren und berichten von Rassismus und klassistischer Diskriminierungserfahrung. So zum Beispiel bei der Wohnungssuche oder durch Fragen nach der Herkunft, durch die sie sozial ausgegrenzt werden. Auch Diebstahl wird osteuropäisch-gelesenen Menschen oft unterstellt: Margarita erzählt von einem Vorfall in einer Berliner U-Bahn am Vortag des Interviews: »Leute sehen mich, sehen, ich habe Migrationshintergrund und denken sofort, ich bin gefährlich für sie, ich kann klauen.«
Andererseits erzählt die Juristin E. davon, dass durch das medial konstruierte Bild des »anderen« Bulgariens eine Ausgrenzung bulgarischer Communities stattfindet. Dies verschärfe eine nach innen gerichtete Abgrenzung und Isolation bulgarischer Zugewanderter in Deutschland selbst. Das macht es besonders schwer, mit ihnen in Kontakt zu treten, auch als Medienmacher:in.
MEDIENKRITISCHE PERSPEKTIVEN
Mediale Berichterstattung reproduziert vereinheitlichende und abwertende Bilder über Bulgarien sowie bulgarische »Migrant:innen«, sagt E. Dabei stünden Medien in der Verantwortung, für eine differenzierte Berichterstattung zu sorgen. Gerade weil sie für die Gesellschaft eine »meinungsbildende Funktion« einnehmen. Dazu gehöre auch die Thematisierung von Ungleichheit durch Binnenmigration in der Öffentlichkeit.
Was können öffentliche Medieneinrichtungen also tun? Zwar finden immer wieder medienkritische Monitorings statt (z. B. eine Monitoring-Studie der MaLisa Stiftung), allerdings fehlt eine Sensibilisierung für klassistische und rassistische Zuschreibungen gegenüber Menschen aus Osteuropa und den Balkanstaaten. »Das zeigt vielleicht, dass diese Problematik nicht so klar ist für viele Journalist:innen, oder dass sie sie sehr gut kennen, aber nicht darüber schreiben wollen und die Unterschiede nicht aufzeigen wollen«, sagt Margarita. »Es gibt nicht so viele progressive Medien oder Zeitungen hier, die andere Perspektiven aufzeigen.« Stattdessen seien Medien ereignisgetrieben und selektieren Inhalte nach Ereignispotential. Dabei sollten Medien »verschiedene Perspektiven zeigen und real berichten, was hier passiert, was die Leute nach Deutschland geführt hat, wer hier lebt.«
Anmerkung:
Die Verwendung von Personenbezeichnungen im Migrationskontext ist angelehnt an das Begriffsglossar der Neuen deutschen Medienmacher*innen.
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